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Bezahlung ausgeschlossen
Inklusions-Gesetz erlaubt behinderte Kinder an Regelschulen — über die Kosten wird gestritten

Blinde KinderBild: Das soll künftig der Regelfall sein: Behinderte Kinder können von Herbst an gemeinsam mit Nichtbehinderten zur Schule gehen. Städte und Gemeinden streiten mit dem Freistaat über die Finanzierung. Archivfoto: dpa
Von Tina Baier
München - Gegenstimmen dürfte es keine geben, wenn am heutigen Mittwoch im Landtag das neue Gesetz zur Inklusion verabschiedet wird. Behinderte Kinder sollen demnach von Herbst an gemeinsam mit Nichtbehinderten zur Schule gehen können. Die bislang gültige Regel, dass jeder Schüler in der Lage sein muss, sich aktiv am Unterricht zu beteiligen, entfällt. Selten waren sich alle Parteien so einig wie bei diesem Gesetz, das eine interfraktionelle Arbeitsgruppe erarbeitet hat, um die Vorgaben der Behindertenkonvention der Vereinten Nationen zu erfüllen. Trotzdem gibt es Streit - und zwar zwischen dem Freistaat und den Kommunen.

Im Wesentlichen geht es darum, wer für die Kosten aufkommt, wenn in Zukunft mehr behinderte Kinder auf Regelschulen gehen und deshalb beispielsweise Aufzüge für Rollstuhlfahrer eingebaut werden müssen. „Wer Inklusion bestellt, muss Inklusion auch bezahlen", sagt Hans Schaidinger (CSU), Oberbürgermeister von Regensburg, der noch bis Ende des Monats Vorsitzender des bayerischen Städtetags ist. Er verweist damit auf das Prinzip der Konnexität, das in der bayerischen Verfassung verankert ist. Demnach muss der Gesetzgeber die Kosten für Aufgaben übernehmen, die er den Kommunen aufgetragen hat. „Die behindertengerechte Nachrüstung von Schulen, Sanierung oder Erweiterung von Gebäuden und der barrierefreie Umbau von Klassenzimmern darf nicht allein die finanzielle Aufgabe der Kommunen sein", sagt Schaidinger. Regensburg und andere Kommunen seien entschlossen, gegen das neue Gesetz zu klagen, wenn der Grundsatz der Konnexität nicht aufgenommen werde. „Alle im Vorstand des Bayerischen Städtetags waren sich einig", sagt Schaidinger.

„Man kann nicht die Behindertenkonventions-Fahne schwenken. ohne sich über die Finanzierung zu unterhalten", sagt Ulrich Maly (SPD), Oberbürge' meister von Nürnberg und Schaidingers designierter Nachfolger als Vorsitzender des

Kultusminister Spaenle
verspricht 100 neue Lehrer
an Inklusionsschulen


Städtetags. In Nürnberg beispielsweise gebe es mehrere Schulen, die Anfang des 20. Jahrhunderts gebaut worden seien und bei denen man die Barrierefreiheit nie und nimmer herstellen könne. „Im Landtag hat man wohl nicht ganz durchdacht, was das neue Gesetz vor Ort bedeutet", sagt Maly.

Die Mitglieder der Arbeitsgruppe, die mehr als ein Jahr lang an der Gesetzesänderung gearbeitet haben, sehen das anders: „Das ist kein Fall von Konnexität", sagte der Leiter Georg Eisenreich (CSU). Da gebe es „eine einheitliche bundesweite Linie". Man wolle aber mit den Kommunen im Gespräch bleiben. Margit Wild (SPD), die an dem Gesetzentwurf mitgearbeitet hat, sieht das ähnlich „Die Inklusion war keine Erfindung des Freistaats", sagt sie. Zudem sei „vieles machbar, ohne den Kommunen Geld in die Hand zu geben". Zum Beispiel könnten Klassen, in denen Kinder im Rollstuhl sitzen, ins Erdgeschoss verlegt werden.
Was Wild vor dem Start der 40 Inklusionsschulen im September mehr Sorgen macht, ist die Ausstattung mit Lehrern. Kultusminister Ludwig Spaenle hatte versprochen, im kommenden Schuljahr 100 zusätzliche Lehrer speziell für die Inklusion einzusetzen. Im darauffolgenden Jahr sind im Doppelhaushalt des Kultusministeriums weitere 100 Lehrer für diesen Zweck eingeplant. „Die Mitglieder der Arbeitsgruppe wollen genau wissen, wie die Inklusionsschulen ausgestattet sind und wohin die versprochenen 100 Lehrer gehen", sagt Wild.

Der Grund für das Misstrauen: Die meisten der neuen Inklusionsschulen haben schon jetzt Kooperationsklassen, in denen behinderte Kinder unterrichtet werden. Deshalb stehen ihnen schon jetzt mehr Lehrer zu als anderen Schulen. „Wir befürchten, dass Spaenle die schon vorhandenen Lehrer von den hundert versprochenen abzieht", sagt Sascha Schneider vom Behindertenverein „Gemeinsam leben - gemeinsam lernen". Am 25. Juli wollen die Mitglieder der interfraktionellen Arbeitsgruppe, die weiter bestehen bleibt, das Thema mit Kultusminister Ludwig Spaenle (CSU) besprechen.

SZ / 13.07.2011